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Raphael Freienstein: „In Deutschland würde ich einen KT-Fahrer definitiv nicht als Profi bezeichnen!“

by Daniel

Als KT-Fahrer wurde Raphael Freienstein in diesem Sommer Deutscher Meister am Berg. Raphael hoffte auf eine Karriere in den ersten beiden Ligen des Profiradsports. Die Realität sieht aber leider anders aus. Mit vermeintlich zu alten 26 Jahren bleibt für den ehrgeizigen Pfälzer nahezu jede Tür zu. Raphael Freienstein sieht sich gezwungen, dem aktiven Radsport den Rücken zuzukehren. Ein Interview, das mich nachdenklich stimmte – da liegt doch einiges im Argen, dass so ein talentierter junger Kerl keinen Platz im Profi-Radsport findet.

Raphael Freienstein
Foto: Michaela Parsons | Raphael in Australien

Hinweis: Dieses Interview mit Raphael Freienstein ist der Auszug des kompletten Exklusivinterviews aus meinem e-Magazin Interview Sessions #009die Veröffentlichung war am 8.10.2017.

Ausblick: In den nächsten Interview Sessions #010 (VÖ am 14.1.18) spreche ich u.a. mit dem Top-Marathonfahrer Robert Petzold und seine Siegambitionen beim Ötztaler Radmarathon 2018 sowie seinen hartnäckigen Kampf für einen dopingfreien Jedermann-Radsport.

Das solltest du unbedingt lesen, ein sehr cooles Interview :-)

Also, kommen wir zum etwas ernüchternden Gespräch mit Raphael Freienstein.

Raphael Freienstein über seine Karriere

Raphael, du bist jetzt 26 Jahre alt und seit 2012 KT-Fahrer. Wo geht die Reise für dich hin?
Raphael Freienstein: Richtig. Ja, es war schon der Wunsch, mal höherklassig zu fahren, sprich Pro Continental oder World Tour. Da habe ich in den letzten zwei Jahren ganz klar den Fokus draufgelegt, entsprechend den Entschluss gefasst, hier in einem deutschen Kontinental-Team zu fahren, nachdem ich ja schon zwei Jahre in Australien war. Und im Team Lotto Kern-Haus von Florian Monreal, hat man wirklich ideale Vorrausetzungen, das Ganze auch als Sprungbrett zu nutzen.

Über die Rennen?
Raphael Freienstein: Ja klar, in den UCI-Rennen vor allem, die wir übers Jahr fahren. Dort muss man sich dann natürlich zeigen. Nebenbei studiere ich noch per Fernstudium Internationales Management, was ich jetzt im Winter abschließen werde.

Konntest du beides gut kombinieren?
Raphael Freienstein: Das ging die letzten Jahre noch sehr gut. Aber wie gesagt, der Radsport war schon immer im Fokus. Ich habe ja gemerkt, dass ich Potential habe, mein Problem ist nur, dass ich erst zu spät gezündet habe. Mit 26 bin ich in diesem Jahr das erste Mal Deutscher Meister am Berg geworden und mit der Mannschaft am Sonntag nochmal im Mannschaftszeitfahren.

Das habe ich gesehen.
Raphael Freienstein: Es ist mit Sicherheit eine sehr stabile Saison gewesen, auch international konnte ich mich hier und da bei UCI-Rundfahrten präsentieren. In der Gesamtwertung auch öfter mal in die Top-Ten fahren, insgesamt lief es bei den UCI-Rennen aber leider nicht ganz so gut, wie noch im letzten Jahr beim Flèche du Sud, als ich das erste Mal so richtig auf mich aufmerksam gemacht habe.

Hast du alles dran gesetzt, den Schritt in Richtung 1. oder 2. Liga zu schaffen?
Raphael Freienstein: Ja, definitiv. Die Möglichkeiten, die ich hatte, die habe ich natürlich probiert auszuschöpfen. Heutzutage ist es nur extrem schwierig, wenn man aus der U23-Klasse rauskommt. Natürlich gibt es Ausnahmen, hauptsächlich aber eher im Ausland.

Wie meinst du das?
Raphael Freienstein: In Deutschland schafft es kaum noch einer, der über 23 Jahre ist. Wenn man sich die Jungs einmal anguckt, die Profis geworden sind: Pascal Ackermann, Marco Mathis, Lennard Kämna – die sind alle während ihrer U23, oder noch jünger, Profi geworden.

Raphael Freienstein
Foto: Siggi Seng | Deutscher Meister am Berg

Kurze Zwischenfrage: Würdest du einen KT-Fahrer nicht als Profi bezeichnen?
Raphael Freienstein: Nein, in Deutschland würde ich einen KT-Fahrer definitiv nicht als Profi bezeichnen. Auf dem Papier ja, sie sind als KT-Fahrer bei der UCI registriert, aber insofern nicht, weil wir auf dem Niveau einfach nicht genug verdienen und das als Beruf ansehen können.

Ihr trainiert aber wahrscheinlich wie einer aus der World Tour?
Raphael Freienstein: Ja, das stimmt. Wir müssen uns wie jeder andere World Tour oder Pro Continental Fahrer vorbereiten. Im letzten Jahr bin ich auch an die 30.000 km gekommen. Dieses Jahr ist es ähnlich. Vom Trainingsaufwand ist es ähnlich viel wie bei einem Tour-de-France-Fahrer.

Mit Trainingslager und allem Schnickschnack?
Raphael Freienstein: Klar. Der Unterschied ist nur, im Gegensatz zu den Profis müssen wir vieles aus eigenen Mitteln stemmen. Bei den Profis hat man z.B. immer einen Physio mit dabei, vielleicht noch einen Ernährungsberater etc. Als KT-Fahrer muss man sich das ein bisschen selbst zusammenwurschteln. Deswegen sehe ich den KT-Bereich ganz klar als Sprungbrett. Das kann man in der U23-Zeit machen, vielleicht noch drei, vier Jahre danach, solange man noch studiert oder es nebenbei vielleicht ein Ausgleich ist.

Aber…
Raphael Freienstein: Geld verdienen ist auf dem Niveau in Deutschland nicht möglich, es gibt einfach zu wenige Sponsoren. Da braucht man noch die Unterstützung z.B. vom Elternhaus. Die Nationalfahrer haben ja noch das Privileg, in die Bundeswehr, in die Sportfördergruppe zu kommen, da ist man dann finanziell ein bisschen abgesichert. Die restlichen Fahrer in Deutschland leben schon sehr am Existenzminimum.

Und im letzten Jahr bist du bei der Europameisterschaft im Deutschen Trikot gegen Jungs wie Peter Sagan oder Philippe Gilbert gefahren. Stars, die Millionen verdienen…
Raphael Freienstein: Ja richtig, ich wurde nominiert und bin auch ein sehr gutes Rennen gefahren. Und wie gesagt, die Vorbereitung, um solch ein Rennen durchzustehen, das war auch relativ bergig, da muss man natürlich im Vorfeld extrem viel trainieren.

Du bekommst von deinem Team aber schon ein Gehalt?
RF: Ja, das steht aber gegen World Tour Fahrer wie Peter Sagan in keiner Relation. Man muss bei der EM die gleichen Distanzen fahren, das gleiche trainieren. Na gut, so ein Event muss man entsprechend als Chance sehen – und idealerweise auch nutzen.

Also, woran liegt’s?
RF: Bei mir lag es, glaube ich, daran, dass es neben dem Alter heutzutage einfach sehr schwer ist, ohne Vitamin-B irgendwo reinzukommen. Das ist das eine. Das andere ist, dass der Radsport in Deutschland nach wie vor keinen richtigen Stellenwert eingenommen hat.

Du meinst nach der Ullrich-Zeit?
RF: Richtig. Mal ein Beispiel: Letztes Jahr hatten wir noch das Team Stölting im Proconti-Bereich, zusätzlich hatten wir noch Netapp auf PKT in den Jahren zuvor, also im letzten Jahr Bora-Argon18.

Jetzt Bora-Hansgrohe.
RF: Genau, und in diesem Jahr ausschließlich Bora und Sunweb in der World Tour. Diese Zwischenebene fehlt also – Pro Continental –, in der die Fahrer, die aus der U23 kommen, und eigentlich das Zeug dazu haben mal World Tour zu fahren, in so einem Team wenigstens finanziell abgesichert sind und sich dann voll auf den Sport konzentrieren können.

Und ausländische PCT Teams?
RF: Als deutscher Fahrer in einem ausländischen Team unterzukommen, ist extrem schwer, weil aus den Nationen, die die Pro Continental Teams stellen, wie z.B. Frankreich, Belgien oder Holland, die haben selbst so viele gute Rennfahrer, dass sie erst mal die Fahrer aus den eigenen Reihen nehmen, bevor sie einen Ausländer auswählen. Es sei denn, ein Sponsor möchte vielleicht, dass eine spezielle Nation vertreten ist, aber das ist auch in den seltensten Fällen der Fall. Wobei es auch hier und da komische Dinge gibt…

Raphael Freienstein und Freundin
Foto: Marcel Hilger | Raphael mit seiner Freundin

Was meinst du?
RF: Wanty Groupe fährt z.B. auf Cube Rädern, eine deutsche Firma, die waren jetzt bei der Tour mit dabei und haben keinen einzigen deutschen Fahrer im Team. Das tut mir persönlich ein bisschen weh. Hat Cube nicht die Möglichkeit zu sagen, wir hätten wenigstens gerne einen deutschen Fahrer mit dabei?

Kann ich nachvollziehen. Frage: Selbst wenn du jetzt mit 26 irgendwo in Frankreich beim Zweitligisten unterkämest, das was du dort verdienst würde nicht lange reichen. Denkt man da mit 26 nicht, dass man das Studium eher forciert, weil das große Geld eher unrealistisch ist?
RF: Also für mich war klar, dass ich nie voll und ganz auf die Karte Radsport setze. Das darf man heutzutage auch nicht, ich glaube nicht, dass es noch welche gibt, die direkt durchstarten und so viel Geld verdienen, dass sie nicht mehr arbeiten müssen.

RF: Das Studium war und ist für mich ein guter Ausgleich und ich werde es ja auch abschließen. Ich hätte das jetzt auch nicht abgebrochen, wenn ich die Möglichkeit gehabt hätte, irgendwo Profi zu werden. Es hätte nach wie vor bei mir noch an oberster Stelle gestanden, weil, wie du schon gesagt hast, ich für die Zukunft auf jeden Fall eine Absicherung brauche.

Wie alt sind deine Teamkollegen bei Lotto Kern-Haus?
RF: Wir haben ungefähr acht U23 Fahrer, die genaue Zahl weiß ich jetzt gerade nicht, die Leistungsträger bei uns sind im Moment jedenfalls nicht mehr unter 23 Jahren. Also, der Joshua Huppertz, der die Bundesliga anführt und wie es aussieht auch gewinnen wird, der ist seit diesem Jahr aus der U23 raus.

Da sieht man quasi, dass international betrachtet, gerade wir zwei, die aus der U23 raus sind, die Ergebnisse einfahren und die Jungs im U23-Bereich noch nicht ganz auf dem Niveau sind. Das dauert einfach ein bisschen.

Gibt es einen Trend beim Scouting der Profiteams, was das Alter anbelangt?
RF: Der Trend von den großen Teams geht extrem dahin, junge Fahrer direkt an sich zu binden. Bereits mit 19, 20 oder 21 Jahren werden sie unter Vertrag genommen.

Du bist immerhin Deutscher Meister. Hast du keine konkreten Gespräche geführt?
RF: Ich habe natürlich probiert, mit Teams Kontakt aufzunehmen, hatte auch ein paar Gespräche, vielleicht mal als Stagiaire bei denen zu fahren. Aber unterm Strich hat doch recht wenig Interesse bestanden.

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Dies war der Auszug des Interviews mit Raphael Freienstein aus dem aktuellen e-Magazin (PDF) Interview Sessions #009.

Weitere Interviewgäste in dem e-Magazin (PDF-Format) waren ROSE-Boss Erwin Rose und die Social Influencerin Maria Wilke, bei der ein Instagram-Bild nicht gut läuft, wenn es unter 2.000 Likes hat.

 

>> Hier geht es zum kompletten Interview

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