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„Die Jedermannszene wird keine Toursieger, Weltmeister und Medaillengewinner hervorbringen!“ Darum dürfen Vereine nicht aussterben sagt Dominik Merseburg

by Daniel

Ein echte Zwickmühle: Viele Rennradfahrer der Jedermannszene entdecken den Radsport in ihren Dreißigern: zeitlich unabhängig, ein genialer Ausgleich zum Büro und trotz des fortgeschrittenen Alters immer noch die Möglichkeit, im Wettkampf die Sau rauszulassen. Zu Lasten der Vereinsszene. Denn zahlreiche Fahrer mit C-Lizenz kehren dem vermeintlich biederen Vereinsleben den Rücken und nehmen stattdessen an diesen „bunteren“ Jedermannrennen teil. Nachwuchsfahrer werden eh immer weniger. Die Basis schmilzt weg. Wo geht die Reise hin? Was müsste man verändern? Eine Bestandsaufnahme mit Dominik Merseburg…

Dominik Merseburg Wer in die Radsportszene reinhört, der wird schnell feststellen:

  1. Die Jedermannszene in Deutschland wächst! Zahlreiche C-Lizenz-Fahrer, die in den Jedermannbereich abwandern (siehe Interview mit Herbert vom Team DKS) 
  1. Die Lizenzrennen und Vereine in Deutschland sterben aus – Radsport im Verein ist ohne Toursieger in Gelb nicht mehr sexy.

Quo vadis deutscher Radsport? Wo geht die Reise hin?

Dieser Frage gehe ich im Interview mit Dominik Merseburg nach. Dominik ist ehemaliger KT-Fahrer für das Team Bike Aid und fährt aktuell per A-Lizenz für das Team Erdinger Alkoholfrei. Dominik ist 25 Jahre alt und kommt aus der Ecke Kaiserslautern.

Zugegeben, mit diesem Thema – Lizenzrennen – habe ich mich auf sehr dünnes Eis begeben, kenne ich mich in diesem Bereich tatsächlich kaum bis gar nicht aus. Entsprechend habe ich es mir erlaubt, Dominik die ein oder andere naive Frage zu stellen, um dieser „Wundertüte“ für mich auf den Grund zu gehen.

Andi Wagner von iQ athletik (Leistungsdiagnostik) stellte mir freundlicherweise den Kontakt zu Dominik her.

Großes Dankeschön an dieser Stelle!

Genug gesabbelt, auf geht’s…

Dominik Merseburg (A-Lizenzfahrer) über den Status Quo der Lizenzrennen

Dominik Merseburg

Dominik, du bist aus Rheinland-Pfalz. Aus welcher Gegend genau?
Ich komme aus der nördlichen Pfalz. Ziemlich genau in der Mitte von Mannheim und Kaiserslautern. Neuleiningen heißt der Ort im Kreis Bad Dürkheim.

Als Pfälzer Bub bist du wahrscheinlich ein Roter Teufel?
Ein Roter Teufel, ganz klar. Früher hatte ich sogar mal eine Dauerkarte – aktuell gehe ich aber „nur“ noch 2-3 mal pro Saison ins Stadion.

Du fährst aktuell per A-Lizenz für das Team Erdinger Alkoholfrei (Elite). Welche Liga ist das, wenn man es mit dem Fußball vergleichen würde?
Puh, das ist natürlich schwer zu vergleichen da die beiden Sportarten ein komplett unterschiedliches System besitzen. Aber grob würde ich die A-Klasse so in der Region 2./3. Bundesliga ansiedeln.

Kannst du uns kurz deinen Werdegang schildern? Wie wird man A-Lizenzfahrer nach der Jugend?
Nach der Jugend startet man automatisch mit der C-Lizenz. Mit fünf Platzierungen unter den ersten Zehn oder einem Sieg wird man B-Fahrer. Wenn man dann in der B-Klasse nochmal das Gleiche vollbringt, also 5 Platzierungen oder ein Sieg, dann wird man A-Fahrer.

Ok, habe ich verstanden. Und wenn ich jetzt mit meinen 38 Jahren als reiner Hobbyfahrer eine Lizenz lösen würde, dann würde ich auch als C-Fahrer starten, korrekt?
Genau so ist es. Du fängst dann auch mit der C-Lizenz an.

Dominik Merseburg

Als A-Klasse-Team fahrt ihr dann auch hin und wieder per Einladung bei richtigen Profirennen wie Rund um Köln mit?
Nein, das war bei mir im letzten Jahr, als ich KT-Fahrer für Bike Aid war. Als A-Fahrer nehmen wir hin und wieder bei niederklassigen UCI-Rennen teil. Wie eine Rundfahrt in Polen oder das ein oder andere Rennen in Belgien. Also UCI-Rennen mit „Punkt zwei“, die sind für Amateure offen. „Punkt eins“ Rennen sind dann eine Liga drüber.

Wieder was gelernt. Wie viele Renntage wirst du in 2017 ca. haben?
60-70 Renntage werde ich, wenn keine größeren Stürze usw. dazwischenkommen, sicherlich wieder erreichen.

Radsport bedeutet natürlich sehr viel zeitintensives Training. Kannst du vom Radsport leben?
(lacht) Nein, das kann ich definitiv nicht.

Wie schaffst du es sonst, mit deiner normalen Arbeit diesen Trainingsaufwand zu stemmen?
Ganz, ganz wichtig ist es natürlich, sich die Zeiten extrem gut aufzuteilen. Ich gehe ja auch in der Wintervorbereitung zweimal ins Trainingslager – meist im Dezember und Ende Februar.

Und wie viel Stunden trainierst du im Schnitt in der Woche?
Ich würde schon sagen, dass es knapp 20 Stunden in der Woche sind.

Krass, das ist eine Hausnummer. Darf ich fragen, was du beruflich machst?
Ich arbeite beim Steuerberater.

Hast du eine Frau/ Freundin?
Nein, ich bin solo.

Was wird dein/Euer Saison-Highlight sein?
Ganz klar unser Heimrennen der Große Silber-Pils-Preis in Bellheim, welches das mit 200km längste Amateurradrennen in Deutschland ist. 60-80 km fahren wir jede Woche, des Öfteren auch mal 100-150 km, aber 200 km hat schon etwas Besonderes. Gegen die ganzen Profiteams wird es da allerdings nicht ganz einfach, aber wir haben genug Qualität im Team, um da vorne mitzufahren.

Zuvor bist du ein Jahr für Bike Aid im KT-Bereich gefahren. Wie krass ist hier der Leistungsunterschied von A-Lizenz zu KT?
Auch das muss man differenziert betrachten. Im KT-Bereich sind die Anforderungen teilweise ganz andere, da die Rennen viel länger sind. Bei den größten Rennen, die ich bestritten habe (WM Teamzeitfahren Doha, Tour of China, Eschborn-Frankfurt, Mallorca-Challenge, Rund um Köln, Dwars door Vlaamse Ardennen, Tour Eritrea usw.) ist das Niveau natürlich teilweise deutlich größer als bei einem KT-AB-Rennen.

Aber auf was ich immer wieder hinweise, ist, dass wenn wir die 20 besten Amateure gegen die 20 besten KT-Fahrer auf der Rundstrecke fahren lassen, ziemlich sicher die Amateure gewinnen. Sie sind diese kürzeren harten Belastungen besser gewohnt und haben fast alle eine Profivergangenheit.

Wenn du im Feld mit Profis aus der WorldTour fährst, wirst du da als vermeintlich „kleiner Amateur“ auch mal etwas gesondert betrachtet?
Nein, so etwas konnte ich jetzt nicht beobachten. Mann muss aber schon sagen, dass man den gewissen Respekt hat, wenn man z.B. neben Alessandro Valverde fährt. Ganz klar. Das ist für mich definitiv ein ganz besonderer Moment. Man ist auch ein wenig ehrfürchtig.

Wenn der „große Meister“ Platz haben will, dann muss man als „kleiner Amateur“ schnell zur Seite…
Ja, so kann man es in etwa beschreiben. Man würde z.B. auch nie sehr eng bei ihm vorbeifahren, so dass unter Umständen etwas passieren könnte – was man vielleicht bei anderen nicht so machen würde.

Darf man bei so einem überhaupt Windschatten lutschen?
Ja, das kann man schon machen, wenn das die Situation entsprechend erfordert.

Dominik Merseburg

Wenn die Profis nach dem Rennen in ihren Teambus mit Dusche und Kaffeemaschine steigen, müsst ihr per Auto oder sogar Fahrrad zurück ins Hotel. Wird man da nicht neidisch?
Neid nicht wirklich. Die Jungs haben sich das ja in den Jahren zuvor hart verdient. Man merkt aber definitiv, dass es etwas Besonderes ist, wenn man mit denen fahren kann. Natürlich merkt man dann auch, dass man für ein kleineres Team unterwegs ist.

Auf abgesperrten Straßen große Runden zu fahren, das macht den Jedermannsport sicher attraktiv, aber 18-jährige Nachwuchsfahrer können sich nicht jede Woche 50 Euro Startgeld leisten.

Du bekommst ja auch mit, wie sich die Jedermannszene entwickelt. Im Vergleich zu den Lizenzrennen ist die Stimmung hier – zumindest in meiner Wahrnehmung – deutlich besser. Wirst du da manchmal neidisch bzw. nachdenklich?
Natürlich bekommt man das mit. Die Stimmung ist sicherlich bei uns nicht schlechter als im Jedermannbereich. Ich kenne sehr viele Fahrer und die meisten sind super Jungs die den Sport lieben.

Nachdenklich wurde ich da schon oft, neidisch aber nie. Auf abgesperrten Straßen große Runden zu fahren, das macht den Jedermannsport sicher attraktiv, aber 18-jährige Nachwuchsfahrer können sich nicht jede Woche 50 Euro Startgeld leisten. Die Jedermannszene wird keine Toursieger, Weltmeister und Medaillengewinner hervorbringen, da hier ja eher die ältere Generation unterwegs ist. Eine Strukturreform, also mehr Mit- als Gegeneinander, würde dem Radsport insgesamt sehr gut tun.

Wie könnte aus deiner Sicht so eine Strukturreform konkret aussehen?
Grundsätzlich stellen wir mal fest, dass insbesondere C-Fahrer in großen Teilen in die Jedermannszene abwandern, die ja leider nicht in der Vereinsszene verwurzelt ist. Das heißt, hier bricht schon ein guter Teil der Basis weg, was sich auch beim Nachwuchs bemerkbar macht. Leider eine sehr negative Kette aus meiner Sicht.

Verstehe. Wie könntest du dir aber diese Strukturreform vorstellen?
In Dänemark weiß ich z.B., dass es eine sogenannte D-Klasse gibt. Also für Fahrer, denen der Trainingsaufwand in der C-Klasse zu groß ist. Hier geht es dann etwas entspannter zur Sache – etwas für echte Einsteiger.

Eine andere Sache, die ja in Teilen schon durchgeführt wird, ist die Verknüpfung von Lizenzrennen mit Jedermann-Veranstaltungen – wie z.B. in Münster. Also mehr Zusammenhang und keine Konkurrenz zueinander.

Wäre es für euch Lizenzsportler nicht interessant, Eure Eliterennen zusammen mit den Jedermannveranstaltungen (GCC) dauerhaft durchzuführen?
Eine neue Rennserie, welche die Gruppen vereint, wäre sehr wünschenswert! Unter dem Deckmantel „Jedermannsport“ kann das aber nicht laufen, denn damit hat das ja selbst im heutigen Jedermannsport meiner Meinung nach nichts zu tun.

In der aktuellen „RennRad“ (05/2017) wurde kommuniziert, dass es zzt. gerade einmal 500 Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren gibt, die eine Lizenz besitzen. Was wäre deine Idee, wie man den Vereins-Radsport in Deutschland wieder attraktiver bekommt?
Es wird in allen Sportarten immer schwerer, genügend Nachwuchs heranzuführen. Im teuren Radsport natürlich nochmal verschärft. Mich besorgen die Starterzahlen in den Nachwuchsklassen sehr und wir diskutieren oft darüber. Der wichtigste Schritt wäre, dass sich ältere Rennfahrer und Ex-Rennfahrer nach dem Karriereende als Trainier engagieren und nicht dem Sport komplett den Rücken kehren. Die meisten Vereine bieten gar keine Jugendarbeit an, da Personal fehlt. Da wo etwas gemacht wird, gibt es auch Nachwuchsfahrer.

Merkt ihr auch bei Euch im Verein einen konkreten Mitgliederschwund?
Ja, das merken wir auch. Zum Glück kümmert sich einer meiner Teamkollegen jetzt seit über einem Jahr bei uns um die Jugendarbeit. Man muss aber in Summe sagen, dass der Verein überaltert ist – eigentlich wie überall.

Naja, durch diese echt harte Arbeit bei uns bekommen wir das noch einigermaßen in den Griff. Bei dem Verein, in dem ich selbst angefangen habe, in Göllheim, da werden die Mitglieder leider immer weniger.

An einem Ende sterben die Älteren weg, von unten kommt nichts nach…
Ja.

Abschlussfrage: Was ist dein großes Radsport-Ziel? Welchen Wunsch möchtest du dir in den nächsten Jahren erfüllen?
Ich würde gerne eine großes Amateurrennen gewinnen. Am liebsten natürlich in Bellheim. Zudem will ich jungen Fahrern in meinem Team bei ihrer Entwicklung helfen und sie weiter bringen.

(c) Fotos im Artikel: Dominik Merseburg | Cycling-Team Erdinger Alkoholfrei 

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