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Das Kuriosum „Jedermann-Rennszene“ –
oder wie der BDR einen Trend verschlafen hat

by Daniel

„Fluch oder Segen?“ – diese Frage warf die Tour in ihrer 10/2015-Ausgabe in den Raum. Gemeint ist die brisante Entwicklung der Jedermann-Rennszene in Deutschland, in der semi-professionell aufgestellte Teams (u.a. Team Strassacker, Merkur-Druck oder Bürstner-Dümo), die medial v.a. sehr präsenten Radrennen des German Cycling Cups, nach Belieben dominieren. Die ursprüngliche Idee des GCC, eine Rennserie für Hobbyradsportler zu schaffen, verfehlt zunehmend ihr Ziel: Welcher Einzelstarter hat schon eine Chance gegen Teams mit Sprintzügen, Sponsoren und Lizenzfahrern? Und welche Konsequenzen hat diese Entwicklung vor allem für die Vereine und Lizenzrennen?Jedermann-RennszeneSeit acht Jahren ist der Mittdreißiger Herbert Schwaninger im Besitz einer C-Lizenz des Bund Deutscher Radfahrer. Neben den Lizenzrennen für seinen Heimatverein RSV Rhede 05 nimmt Herbert auch an den Veranstaltungen des German Cycling Cups teil – der deutschen Rennserie für Hobbyradsportler. Hier aber nicht mehr in Diensten des RSV Rhede 05, sein Team sensibilisiert für die deutsche Kinderkrebsstiftung und trägt selbigen Namen.

Ich muss gestehen, das klingt ein wenig schräg.

Diese ambivalente Situation zeigt aber, dass es einen Wandel in der deutschen Amateur-Rennszene gibt: Jedermänner und Lizenzfahrer nehmen an den gleichen Radrennen statt – von einem fairen Wettbewerb unter Gleichgesinnten kann kaum mehr die Rede sein. Vereine und Lizenzrennen verlieren zunehmend an Bedeutung.

Alarmiert von dieser Entwicklung hat sich Herbert in den vergangenen Wochen selbstreflektierend an mich gewandt, um auf diese Diskrepanz in „Lass es raus“ hinzuweisen.

Einen Lösungsvorschlag hat er auch im Gepäck…

Quo vadis „Jedermann-Rennszene Deutschland“?

Herbert, stell Dich doch bitte kurz vor: Wo kommst du radsporttechnisch her?
Ursprünglich komme ich aus dem Laufsport, dort wurde es aber immer unfairer: Selbst bei den kleinsten Straßenrennen wurden zunehmend Top-Läufer angeworben, die uns dann sprichwörtlich haben stehen lassen – diese Profiläufer haben natürlich dann entsprechend sämtliche Geldprämien abgegrast. Eine wahre Zweiklassengesellschaft. Sehr frustrierend.

Durch einen sehr guten Freund kam ich dann vor ca. acht Jahren zum Radsport, er selbst war ein Lizenzrennfahrer, das hat mich sofort begeistert – und zwar so sehr, dass ich mir auch eine Lizenz gezogen habe.

Was reizt Dich so sehr am Radsport?
Vor allem das taktische Fahren! Das voll draufhalten und auch mal versuchen solomäßig abzuhauen. Dass klappt zwar beim Laufen ganz gut, bei Radrennen aber eher weniger – es sei denn, du heißt Eddy Merckx.jedermann-rennszeneHat sich die jedermann Szene verändert? Wenn ja, wie?
Ja, ich finde schon. In der Spitze bei den Jedermännern ist es immer professioneller geworden, und schneller – teilweise sogar schneller als bei den Lizenzrennen. Ich würde sogar soweit gehen und diese Entwicklung mit der Marathon-Laufszene vergleichen, in der Profiläufer mit Hobbyläufern gemeinsam laufen. Hier laufen die Hobbyläufer zwar mit, bzw. hinterher, der Fokus richtet sich aber ganz klar auf die Profiläufer. Und so schaut es doch auch in der Jedermannszene aus: Der Fokus der Veranstalter richtet sich eindeutig auf die besten Teams und Fahrer. Dem Großteil der Fahrer wird kaum noch Beachtung geschenkt. Die besten Beispiele sind Zeitschriften wie TOUR, RoadBIKE und Rennrad.

Ich fahre erst seit wenigen Jahren Rennrad, kann die Entwicklung leider nicht beurteilen.
Als ich vor acht Jahren im Lizenzbereich anfing und noch total unerfahren war, da sagte man schon mal nach dem Rennen: „Fahr lieber mal eine RTF oder ein Jedermann-Rennen“ – heute sieht es komplett anders aus. Ich denke der BDR hat die letzten Jahre gründlich verschlafen und den Trend verpasst für Rennkurse über eine längere Distanz. Ich möchte mich ja auch nicht immer schwindelig fahren bei „rund um die Tonne“. Darüber hinaus wird es für die Vereine auch immer schwieriger, Rennen zu organisieren, bei all den Auflagen. Die Konsequenz ist entsprechend, dass immer mehr A-, B- und C-Rennen gestrichen werden.

Ich denke der BDR hat die letzten Jahre gründlich verschlafen und den Trend verpasst für Rennkurse über eine längere Distanz. Ich möchte mich ja auch nicht immer schwindelig fahren bei „rund um die Tonne“.

Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel des Münsterland Giro: Hier wird ein Jedermann-Rennen mit einem Lizenzrennen kombiniert. Das hat Zukunft! Von daher sage ich: Eigene Blöcke für Lizenzfahrer und Jedermänner.

Was ist für Dich eigentlich der Unterschied zwischen Jedermann- und Hobbyfahrern?
Der Unterschied liegt im Reglement: Jedermänner dürfen eine C-Lizenz haben und Hobbyfahrer fahren eben ohne Lizenz. Man sollte sich die Frage stellen: Sind nicht alle Hobbyfahrer gleichzeitig auch Jedermänner? Oder sind die Jedermänner schon Semi-Profis?

Ist es aus Deiner Sicht gut, dass sich die Jedermannszene professionalisiert?
Einige Teamleiter aus der Jedermannszene würden es mit „ja“ beantworten. Sie würden sagen, dass die Rennen geordneter stattfinden: Professionalisierte Jedermann-Teams kontrollieren die Rennen in der Spitze, somit ist es weniger chaotisch wie es vielleicht noch vor ein paar Jahren war. Einige dieser Teamleiter behaupten sogar, dass sich die Anzahl der Stürze verringert haben. Dem würde ich teilweise sogar zustimmen, denn diese Fahrer wissen sich schon in der Gruppe zu bewegen und das Rennen entsprechend zu lesen. Vielen Einzelstartern fehlt einfach diese Erfahrung, sie sind mit vielen Situationen schlichtweg überfordert, die man aus dem Radrennsport kennt.

Dadurch, dass es professioneller wird, wird es ganz klar taktischer und schneller – und für jemanden, der eben nicht sechs Tage in der Woche auf dem Rad sitzt, ist das schnell zu hart – so verliert man dann auch schnell den Reiz an den Jedermann-Rennen. Das wurde mir von zahlreichen Teilnehmern aus der Jedermannszene bestätigt.

Andersrum, hat die Professionalisierung im Jedermannbereich auch Auswirkungen auf die Lizenzrennen?
Ja, vor allem, dass sich zahlreiche sehr talentierte Radfahrer in der C-Klasse bewegen, Preise rausfahren, aber nicht aufsteigen wollen. Somit gibt es immer mehr C-Fahrer, die eigentlich A- oder sogar KT-Fahrer hätten sein können. Auf der anderen Seite gibt es nur wenige Fahrer, die die Jedermannszene als Sprungbrett nutzen. Eigentlich schade für den deutschen Radsport, hier muss der BDR dringend etwas tun.

Was müsste denn der BDR deines Erachtens machen, damit Lizenzrennen wieder interessanter werden für Sportler und Zuschauer?
Der BDR sollte die Lizenzrennen mit den Jedermann-Rennen verknüpfen, dazu sollte es eine strikte Einteilung bei den Rennen in den unterschiedlichen Lizenzklassen geben – und Hobbyklassen ohne Lizenzen. Den Mist weglassen, dass Fahrer mit einer C-Lizenz bei den Jedermännern starten dürfen, A- und B-Lizenzen jedoch nicht. Den Anreiz schaffen, wieder in die unterschiedlichen Lizenzklassen aufzusteigen.

Der BDR sollte die Lizenzrennen mit den Jedermann-Rennen verknüpfen, dazu sollte es eine strikte Einteilung bei den Rennen in den unterschiedlichen Lizenzklassen geben – und Hobbyklassen ohne Lizenzen.

jedermann-rennszene

(c) Foto: Markus Stera

Für viele Teams scheint der German Cycling Cup (GCC) einen höheren Stellenwert als Lizenzrennen zu haben. Wie erklärst Du Dir das?
Der German Cycling Cup bewirbt die Rennen mit einer großen Runde bzw. mehreren großen Runden. Dazu kommt, dass einige Sponsoren wie auch Radzeitschriften im German Cycling Cup involviert sind und auch die Radhersteller diese Nische für sich entdeckt haben. Sie können ihre Rennräder an die erfolgreichen Teams verkaufen oder verleihen. Die Lizenzrennen hingegen, finden meist abseits gelegen in irgendwelchen Industriegebieten statt, wo nicht viel los ist, und demzufolge auch nicht viel abgesperrt werden muss, beworben werden sie ohnehin kaum. Aus diesen Gründen ist der German Cycling Cup logischerweise eine super Werbeplattform. Es gibt ja auch kaum noch Radhersteller, die den Lizenzsport unterstützen. Wenn man sich mal anguckt, wie viele Zuschauer bei den Lizenzrennen sind, das ist leider erbärmlich. Auch hier ist der BDR gefordert.Bevorzugen aus Deiner Sicht die Veranstalter beim German Cycling Cup bzw. den Jedermann-Rennen die erfolgreicheren Teams?
Eindeutig, denn die erfolgreicheren Teams bringen die Sponsoren für die Veranstaltung mit.

Wie äußert sich das?
Die Sponsoren möchten natürlich, dass die Teams mit ihren Logos am besten sichtbar sind, und das ist freilich vorne bei der Startlinie der Fall – in dem Fall schicken die Veranstalter diese Teams dann entsprechend in die ersten Reihen.

Ich habe auch schon beobachtet, dass sich Jedermänner lange Zeit vor dem Start in den ersten Startblock reingestellt haben, um eine gute Ausgangsposition zu haben – unmittelbar vorm Start kamen aber dann die Topfahrer bzw. die Topteams angerollt und wurden vom Veranstalter in die erste Startreihe geführt, die Hobbyfahrer entsprechend nach hinten „geschoben“ – das fühlt sich einfach unfair ein. Konkret war dies beim GCC in Dresden der Fall.

Die Sponsoren möchten natürlich, dass die Teams mit ihren Logos am besten sichtbar sind, und das ist freilich vorne bei der Startlinie der Fall – in dem Fall schicken die Veranstalter diese Teams dann entsprechend in die ersten Reihen.

Erwägst Du es Konsequenzen zu ziehen, würdest Du Dich womöglich aus einem Bereich verabschieden?
Ja, vielleicht von den Jedermann-Rennen. Außer die Veranstalter schaffen es endlich mal, die Rennen nach Leistungsklassen zu starten – vor allem mit größeren Zeitabständen. Dass man nicht nach 20 km mit 400-500 anderen Teilnehmern kämpfen muss, wovon die Hälfte nicht mal in der Lage ist, sich korrekt im Feld zu verhalten: Viele drücken sich in die kleinsten Lücken oder verstehen auch die Basic-Handzeichen nicht. In Italien finde ich es gut, dass man einem Verein beitreten muss, um an den Rennen (Grand Fondos) teilzunehmen. Das würde auch den Vereinen helfen, wieder mehr Zuwachs zu bekommen.

Abschlussfrage: Du bist beim GCC Frankfurt-Eschborn mitgefahren, was ist hier schiefgelaufen?
Bei der 70-km-Runde wurde das Spitzenfeld, kurz vorm Ziel, vom Führungsfahrzeug falsch geleitet – und wieder in die Innenstadt geführt. Die kompletten Platzierungen (ab Platz 4) und Teamwertungen gingen damit „in die Hose“.

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Fehler passieren, was stört Dich wirklich?
Wie anschließend damit umgegangen wurde: Die Teams, die davon betroffen waren, konnten dem Veranstalter haargenau schildern, wo sich der Fehler ereignete. Aus meiner Sicht versucht man jetzt Zeit herauszuschinden, in dem man erst einmal recherchiert müsste… Insbesondere deswegen ärgerlich, weil dieses Missgeschick in 2013 schon einmal vorgekommen ist.

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