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Endspurt Wintertraining:
6 Trainingstipps von US-Coach Ben Sharp
für das eine Prozent mehr in 2017!

by Daniel

Wie viel Stunden Training sollten es mindestens in der Woche sein? Reichen 6 oder 7? Was ist das ideale Verhältnis von Grundlage zu HIT-Einheiten? Macht Grundlagentraining bei 6 Trainingsstunden pro Woche überhaupt Sinn oder kann man sich das dann gleich schenken? US-Coach Ben Sharp von Stages Cycling gibt uns exklusive Trainingstipps, um in der kommenden Saison das eine „Prozentchen“ mehr rauszuholen.

Ben Sharp

(c) Foto: Stages Cycling

Wie geil ist das denn?

Ben Sharp, ehemaliger Radprofi und USA-Cycling Coach, gibt uns in 2017 auf SpeedVille alle drei Monate exklusive Tipps zum Thema wattgesteuertes Training.

Das erfüllt mich definitiv mit Stolz.

Schließlich ist Ben nicht irgendwer, in Amerika ist Ben der Trainingsexperte aus dem Hause des Powermeter-Herstellers Stages und veröffentlicht in regelmäßigen Abständen sehr interessante Trainingsvideos (Link) auf der US-Seite von Stages.

In Video-Form wird er es jetzt sicherlich nicht auch auf SpeedVille machen, ich habe aber die Chance, ihm alle drei Monate meine Fragen zu aktuellen Trainingsthemen zu schicken und daraus einen interessanten Artikel zu basteln.

Ziel: 360°-Sicht – alle Facetten des Trainings beleuchtet

Zusammen mit anderen Coaches wie Philipp Diegner, Andi Wagner von iQ oder auch Wolfgang Feil beim Thema Ernährung kann ich Euch somit eine 360°-Sicht ermöglichen, in der möglichst alle Ansätze der Trainingslehre beleuchtet werden. Denn was der eine als nicht so relevant erachtet, kann ein anderer wiederum für deutlich wichtiger empfinden. Die Medaille hat bekanntlich mehr als nur eine Seite.

Und am Ende profitieren wir alle davon.

In den vergangenen Tagen schickte ich also Ben meine Fragen über den großen Teich, in denen es vor allem um den bald endenden Winter geht. Je nach Wetterlage kann es in gut 4 Wochen ja auch schon wieder dauerhaft auf die Straße gehen.

Über diese Themen sprach ich mit Ben Sharp:

  1. Mindest-Trainingsstunden pro Woche
  2. Verhältnis von Grundlage zu HIT-Einheiten
  3. Typische Trainingsfehler von Hobbyfahrern
  4. Seine Lieblings-Intervalle (Workouts)
  5. Die Relevanz von Zwift fürs Indoor-Training
  6. Woran misst er Leistungsfortschritt?
Stages-Powermeter-Ben-Sharp
(c) Foto: Benjamin Sharp

1) Mindest-Trainingsstunden pro Woche

Reichen 7 Stunden in der Woche oder müssen es zwingend 10 und mehr sein? Wie so oft erhält man bei einer solch pauschalen Frage keine pauschale Antwort von einem seriösen Coach. „So etwas lässt sich nicht pauschal beantworten, da die Lebensumstände von Fahrer zu Fahrer variieren“, so Ben Sharp.

Aber komm schon, eine Zahl müssen wir jetzt hören. „Ich tue mich jedenfalls schwer, einen Trainingsplan zu erstellen mit weniger als 8 Trainingsstunden pro Woche – natürlich vorausgesetzt, dass der Athlet mehrere Trainingseinheiten absolviert. Auf diesem Level profitieren die Fahrer grundsätzlich noch mehr von kontinuierlichem Training als von Ruhephasen.“

Klar, bei einem Profi mit 30+ Trainingsstunden in der Woche bekommt die Erholung natürlich ein anderes Gewicht.

Ben, die meisten Jedermänner haben einen stressigen Berufsalltag. Wie lässt sich das Training am geschicktesten in den Alltag einbinden, um das Saisonziel möglichst effektiv zu erreichen?
Bei Athleten, die einen normalen Berufsalltag haben, empfehle ich gerne „rückwärts“ vom Saisonziel weg zu trainieren und so die Trainingsbelastung und Ruhephasen zu steuern. Pauschal gesprochen, empfehle ich eine längere Ausfahrt pro Woche einzustreuen – am besten am Wochenende – und diese Ausfahrten dann mit jeder fortgeschrittenen Woche (progressives Training) auszudehnen – bis dann unmittelbar vor dem Event das Volumen des Saisonhöhepunkts erreicht ist.

2) Das Verhältnis von Grundlage zu intensiven Einheiten (HIT)

Es hängt laut Ben ganz entscheidend von der verfügbaren Trainingszeit ab: „Je weniger Zeit der Athlet zum Trainieren hat, desto wichtiger ist aus meiner Sicht das hoch intensive Training (HIT). Wenn ein Fahrer z.B. in der Woche nur sechs Stunden trainieren kann, wird nur sehr wenig aerobe Adaption stattfinden, wenn er bei 60% des Schwellenwerts herumfährt“, unterstreicht Ben Sharp die Wichtigkeit von einer gewissen Mindest-Wochenstundenzahl, schränkt aber auch ein: „Das System wiederum mit HIT-Einheiten zu überladen, wird auf der anderen Seite aber auch nicht die gewünschten Trainingseffekte bringen.“

Es gilt also das richtige Maß – wie immer im Leben – zu finden. „Ab 10 Trainingsstunden pro Woche wird der Fahrer von 1-2 längeren Grundlagenfahrten in der Woche profitieren“, lässt sich Ben dann doch noch zu einer Aussage hinreißen.

No Pain no Gain – stimmt das wirklich?

„Grundsätzlich ja, aber nicht jede Fahrt muss jetzt am absoluten Limit gefahren werden. Sagen wir mal so: Jedes Training sollte einen bestimmten Zweck und ein gewünschtes Ergebnis haben. Eine Regenerationseinheit ist sehr, sehr wichtig und sollte entsprechend nicht hart gefahren werden.“

Ben Sharp
(c) Foto: Benjamin Sharp

3) Die größten Trainingsfehler von Hobbyfahrern?

Bei dieser Frage gerät er leicht in Wallung: „Die harten Einheiten können bei Hobbyfahrern nicht hart genug sein und die regenerativen Einheiten sind deutlich zu intensiv“.

Yep, das kenn ich. Da willst du mal auf der Olympiastraße in Richtung Starnbergersee fahren – sobald „der Falsche“ an dir vorbeifährt, wechselst du in „Kampfmodus“ im Unterlenkergriff. Touché.

„Die meisten Einheiten für Hobbyfahrer finden im mittleren Bereich statt – zwischen einfach und hart. Haben sie erst mal das Training mit einem Powermeter angefangen, ist diese Tatsache, dass das Training zuvor „nichts Halbes oder Ganzes“ war, schwer zu ignorieren. Es gibt einen Moment der Erleuchtung, wenn jemand das erste Mal mit einem Stages Powermeter Intervalle fährt. Ich befürworte es auf keinen Fall, wenn Powermeter Nutzer die subjektive Trainingsanstrengung/-belastung ignorieren, aber die Verknüpfung der subjektiven Trainingsbelastung mit objektiven Kennzahlen kann intensiven Trainingseinheiten einen ganz neuen Zusammenhang aufzeigen.“

Ein weiterer typischer Fehler vieler Jedermännern ist die Ernährung und das Trinkverhalten: „Am Anfang tendieren auch viele Fahrer dazu, zu wenig zu essen und zu trinken während sie auf dem Rennrad sind. Besonders, wenn die Einheiten intensiver werden, muss die Energie wieder aufgefüllt werden, um das intensivere Training halten zu können.“

4) Ben Sharps 3 Lieblings-Workouts

In den USA ist Ben für seine Intervalleinheiten bekannt. Mit meinem Coach Philipp bin ich ja auch schon ein wenig in diese Materie eingestiegen. Welche sind Bens aktuellen Lieblingsintervalle? Es fällt ihm sichtlich schwer, nur ein paar zu nennen.

Am Ende empfahl er uns aber doch diese drei:

1) 2x 20’ Laktatschwellen-Intervalle

  • 10 bis 20-minütiges Aufwärmen
  • zwei 20-minütige Intervalle nahe der FTP (90-105% Eurer FTP-Leistung)
  • dazwischen 10 Minuten Regeneration

Fazit Ben Sharp:
„Sehr gutes Workout, das jederzeit im Laufe der Saison angewendet werden kann, insbesondere aber auch in der Aufbauphase bevor die Saison beginnt. Meiner Erfahrung nach ist diese Einheit insbesondere für Jedermänner geeignet, um die aerobe Kapazität zu verbessern.“

2) 20 Minuten 30/30 gefolgt von 15’ Tempo

  • Aufwärmen
  • 20-minütige „Mikro-Intervalle“
    • 30 Sekunden im Tempo-Bereich (75-90%)
    • 30 Sekunden im VO2-Bereich (105-120%)
  • Profitipp vom Stages-Coach: Bleibt während der Mikrointervalle im gleichen Gang, sofern das Gelände es zulässt, die VO2-Intervalle sollten dann bei einer Kadenz von 100-105 U/min. stattfinden, die Tempointervalle bei ca. 80-90 U./min.
  • 5 Minuten Regeneration
  • 15 Minuten in der Zone 3 (Tempo, 75-90% Eurer FTP)

Fazit Ben Sharp:
„Eine super Einheit, die ihr ca. 8 Wochen bevor die Rennen beginnen, ins Training einstreuen könnt. Die Mikrointervalle können dann um 5 Minuten je Woche verlängert werden. Seid Euch bewusst, dass die Herausforderung bei den Mikrointervallen die Tempointervalle sind. Ich sehe immer wieder, dass Athleten eher Probleme haben, die Leistung im Tempo-Bereich, nach dem VO2-Intervall, aufs Pedal zu bringen.“

3) Over/Under-Intervalle

  • 4 Sätze mit
    • 3 Minuten Tempo (75-90%) gefolgt von 3 Minuten unterer VO2-Zone (105-110%) gefolgt von 3 Minuten Tempo-Zone (75-90%)
    • anschließend 3 Minuten Regeneration

Fazit Ben Sharp:
„Der Unterschied zwischen den Intensitäten ist eher subtil. Besonders interessant wird es bei dieser Übung sein, die Herzfrequenz zu beobachten, da sie nicht wirklich die Leistungsunterschiede reflektieren kann. Bei einem noch nicht so trainierten Athleten, der das Laktat weniger gut verarbeiten kann, bei dem dürfte der Puls in den letzten 3 Minuten im Tempobereich eines jeden Satzes weiter ansteigen – obwohl die Wattzahl niedriger ist als an der FTP.“

5) Das Einbinden von Zwift ins Indoor-Training

Sehr neugierig war ich drauf zu erfahren, wie denn Ben sein eigenes Indoor-Training strukturiert. Ben, Ex-Profi, lebt im traumhaften Boulder (Colorado), wo es in den Wintermonaten auch eher schwierig ist, vernünftig draußen zu trainieren. Also im Prinzip einigermaßen vergleichbar zu uns in Deutschland.

Über sein Equipment:

„Ich fahre auf einem Wahoo Kickr und nutze Zwift als Tool, am Rad habe ich einen Stages Powermeter montiert“.

Den Anteil seiner Zwift-Sessions am Indoor-Training

„Ich nutze Zwift bei ca. 75% meiner Indoor-Einheiten. Was mir sehr gut gefällt, ist, dass ich meine Workouts als Datei in den Ergo-Modus importieren kann. Manchmal fahre ich einfach nur sehr entspannt im Rahmen einer Regenerationsfahrt auf Watopia herum – hin und wieder nehme ich aber auch bei den Zwift-Rennen teil.“

Die Relevanz der Zwift-Rennen fürs Training

„Als ich noch jünger war, hatte ich einen Coach, der mir auch in der Off-Season empfahl, einmal pro Woche etwas Kompetitives zu machen. Er glaubte fest daran, dass man auch in dieser rennfreien Zeit an seiner mentalen Wettbewerbsfähigkeit arbeiten muss, um sie beizubehalten bzw. auszubauen.
Damals spielte ich im Winter tatsächlich Indoor-Hockey auf Rollschuhen oder probierte mich in Videospielen oder auch Poker aus, einfach um mein Gehirn weiterhin zu fordern.

Und aktuell nehme ich auch hin und wieder bei den Zwift-Rennen teil wie eben erwähnt, um mich entsprechend mental auf die anstehende Rennsaison vorzubereiten. Die Rennen sind teilweise echt schwer und ich erwische mich öfter, wie ich im Kopf die Zahlen jongliere und mögliche Rennszenarien durchgehe – genauso wie bei den Rennen draußen.“

6) Wie misst man Leistungsfortschritt?

Beim Training sieht ja jeder, wie sich gewisse Zahlen über die Monate verändern. Bei mir schaue ich z.B. immer gerne auf den Ruhepuls zwischen den Intervallen. Wie verändert er sich über die Wochen/Monate? Oder welche Herzfrequenz habe ich bei 200 Watt. Je besser ich trainiert bin, desto niedriger ist er.

Welche Zahlen aber schaut sich so ein erfahrener Coach wie Ben Sharp an, um die Leistungsentwicklung eines Athleten zu beurteilen?

Bei seinen Bahnradfahrern:

„Wenn ich mit einem Athleten zusammenarbeite, der für gute Ergebnisse in der Einzelverfolgung trainiert, ist es nicht unbedingt relevant, ob sich der Ruhepuls zwischen den Intervallen über die Zeit verbessert. Ich bin viel mehr dran interessiert, wie lange der Athlet die Watt in einem Intervall halten kann. Ich analysiere dazu via „Stages Link“ (Analysetool von Stages, d. Red.) die Trainingsdatei, um zu sehen, wann genau die Leistung abfällt. Erst am Ende des Intervalls oder vielleicht schon früher? Manche Athleten wiederum können die Watt über das komplette Intervall halten, was natürlich auch eine Aussage ist.“

Bei Jedermännern:

„Bei Hobbyfahrern ist die Schwellenleistung ein sehr verlässlicher Indikator über ihre Leistungsfähigkeit. Wie viel Watt können sie in Relation zu ihrem Körpergewicht über eine bestimmte Zeit erbringen. Hier betrachten wir gerne die durchschnittlich erbrachten Watt/kg über Zeiträume von 20-60 Minuten.“

Vielen Dank lieber Ben für diese Tipps.

Wenn ihr ein paar Fragen habt, auf die Ben im zweiten Quartal eingehen mag, dann schickt mir einfach eine Mail an info (at) speed-ville.de.

Nachgefragt: Gibt’s eigentlich so was wie den Ötzi in den USA?

Wo wir gerade noch so lustig am plaudern waren, wollte ich von Ben wissen, ob es in den USA auch so was ähnliches wie den Ötzi gibt, der in 2017 ja mein Saisonhighlight sein wird. Denn neben dem GFNY in New York gibt es sicherlich noch sehr, sehr reizvolle Radsport-Veranstaltungen in diesem riesigen Land.

Diese Veranstaltungen empfiehlt uns Ben…

Bergige und sehr hügelige Rennen in den USA:

  • Mount Evans Hill Climb (Link)
  • Pikes Peak Cycling Hill Climb Gran Fondo (Link)
  • Mount Washington Auto Road Bicycle Hillclimb (Link)
  • Triple Bybass (Link)

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